Mahlzeit, Kinder - Anfänge und Wegzeichen

Mahlzeit, Kinder - Anfänge und Wegzeichen

1.   Der Ursprung des Abendmahls im Neuen Testament

Die neutestamentliche Wissenschaft ist sich heute weitgehend darin einig, dass das Abendmahl der Urgemeinde auf eine dreifache Wurzel zurückgeht. Einmal knüpft das Abendmahl an die Passa-Tradition des jüdischen Volkes an. So auch das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern. Es reiht sich ein in die jüdische Mahltradition und erinnert an den Auszug aus der Gefangenschaft in Ägypten. Darüber hinaus zeigt die Bezugnahme in den Einsetzungsworten auf die Nacht, da Jesus verraten wurde, das Verständnis der Feier als Verkündigung und Gedächtnis des Todes Jesu. Wenn auch die Einsetzungsworte bei den einzelnen Evangelisten und Paulus unterschiedlich ausfallen, können wir doch sagen, dass von dieser Gründonnerstags-Tradition die Stichworte der Sühne (für euch gegeben) und des neuen Bundes (das Neue Testament in meinem Blut) herkommen.

Die zweite Wurzel des urgemeindlichen Abendmahls liegt in den Mahlgemeinschaften Jesu zu seinen Lebzeiten vor seiner Passion. Er hat nicht nur mit seinen Jüngern gegessen, sondern auch mit seinen Widersachern, darüber hinaus aber auch mit den Verachteten, den Zöllnern und Sündern. Fresser und Weinsäufer nannten ihn seine Gegner deshalb (Matthäus 11,19). Es waren sicher keine asketischen Sitzungen, sondern fröhliche Feiern. Die Mahlgemeinschaften wurden im Judentum als Vorwegnahme des himmlischen Mahles der Endzeit gesehen. Wenn Jesus schon zu Lebzeiten alle zu Tisch lädt, den Pharisäer und den Zöllner, den Jünger und den Verräter, dann wird sein Mahl Zeichen für die Aufnahme der Verlorenen und für die Gemeinschaft am Tisch des Herrn.

Die dritte Wurzel des urgemeindlichen Abendmahls liegt in den sogenannten “Erscheinungsmahlen”. In verschiedenen Evangelientexten wird bezeugt, dass eine Tischgemeinschaft mit dem Auferstandenen stattgefunden hat (Lukas 24,28-31, 36-43; Johannes 21,12f; Apostelgeschichte 10,41). Diese österliche Dimension für das Abendmahl ist ganz wichtig. Ohne Streit um die Elemente Brot und Wein war sich die Urgemeinde ganz sicher, daß der erhöhte Herr gegenwärtig war.

Wichtig sind noch einige Hinweise auf die Art der Feier in der Urgemeinde. Bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts blieb die Verbindung des Abendmahls mit einer Mahlzeit selbstverständlich. Die Feier fand in Hausgemeinden statt. Folgende Spuren der Liturgie sind noch zu finden: der Heilige Kuß als Ausdruck der Geschwisterschaft; der Gebetsruf Maranatah (aramäisch) zu deutsch “Unser Herr, komm”; der Gnadenzuspruch und die Einladung sowie auch die Verwerfung von Andersgläubigen (Anatema). Bei der Zulassung zum Abendmahl gab es wahrscheinlich folgende Regelung. Eingeladen wird jeder, der gekommen ist. Aber die Teilnahme an der Brot- und Kelchhandlung setzt die Bereitschaft zur Umkehr voraus und steht unter dem Vorzeichen, dass alle, die zur Gemeinschaft der Glaubenden gehören wollen, auch willkommen sind (Didache 10,6). Dagegen wird derjenige, der den Herrn nicht liebt, im Falle einer Beteiligung unter den Fluch gestellt (1.Korinther 16,22). In der Urgemeinde diente die Tischgemeinschaft auch der Mission. Doch wurde eine Grenze gezogen, damit nicht der Charakter einer spezifisch-christlichen Feier, die an Glauben und Zusammengehörigkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebunden war, verloren ging. Auf jeden Fall waren alle getauften Christinnen und Christen zugelassen.

2.   Die Wandlungen im Verständnis und der Praxis des Abendmahls in den letzten Jahren

Dass es überhaupt zu Diskussionen um die Teilnahme von Kindern am Abendmahl gekommen ist, kann man nur aufgrund einer Akzentverschiebung in der Bedeutung des Abendmahls erklären. Jahrelang gab es moderne Gottesdienste als Jugend- oder Familiengottesdienste ohne die Feier des Abendmahls. Das Sakrament blieb außen vor. Den Grund dafür kann man sich auch klarmachen an dem unterschiedlichen Gebrauch von Gesangbuchliedern in unseren Abendmahlsfeiern. Die herkömmliche Abendmahlsfrömmigkeit trug einen starken Zug zur Vereinzelung in sich. Der oder die Einzelne trat hinzu, er/sie prüfte sein Leben vor dem Angesicht Christi und ließ sich die Vergebung zusprechen, er/sie empfing in/mit und unter Brot und Wein den Leib und das Blut Christi, die Vergebung der Sünden und Kraft für das eigene Leben. Das bezeichnende Lied für dieses Abendmahlsverständnis ist heute noch in unserem Gesangbuch. Viele Leserinnen und Leser werden es gar nicht mehr kennen: “Schmücke dich, o liebe Seele, lass die dunkle Sündenhöhle. Komm ans helle Licht gegangen. Fange herrlich an zu prangen. Denn der Herr voll Heil und Gnaden will jetzt Herberg in dir halten” (EG 218,1).

Den Wandel im Verständnis des Abendmahls zeigt der in den letzten Jahren zunehmende Gebrauch von anderen Liedern, beispielhaft sei genannt das Lied “Das sollt ihr Jesu Jünger nie vergessen. Wir sind, die wir von einem Brote essen, aus einem Kelche trinken, alle Jesu Glieder Schwestern und Brüder. Ach, dazu müsse deine Lieb‘ uns dringen. Du wollest Herr, dies große Werk vollbringen, dass unter einem Hirten eine Herde aus allen werde”. Hier ist das Abendmahl das Mahl der Gemeinschaft. Stichworthaft kann man sagen, es geht eine Bewegung im Abendmahlsverständnis vom Gründonnerstag zum Gemeinschaftsmahl.

Soweit wird verständlich, warum das Abendmahl z. B. auch in die „neuen“ Gottesdienste Eingang fand. Es wurde jetzt sinnhafter Ausdruck der gottesdienstlichen Gemeinschaft. Das Feierabendmahl – wie etwa vom Kirchentag – ist hier ein starker Impulsgeber gewesen. Es bietet die Chance, dass das Abendmahl auch wieder mit einer richtigen Mahlzeit verbunden wird. Von hier aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt bis zu der Frage der Teilnahme von Kindern am Abendmahl. Denn, wenn z. B. im Familiengottesdienst zur Feier des Abendmahls eingeladen wird, dann entsteht die Frage: Wo bleiben die Kinder?

3.   Das Kind und der Glaube

Die offizielle Theologie hat sich sehr lange mit Kindern schwergetan. Dieses hat verschiedene Gründe. Einmal sind die neutestamentlichen Texte, die sich mit Fragen des Kindes beschäftigen, in der Regel beispielhaft ausgerichtet. Am bekanntesten ist Markus 10,15: “Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen” (vgl. aber auch Matthäus 18,1-6; 19,13f; Lukas 18,17). Sodann sind die Begriffe davon, was der Mensch eigentlich ist und was ihn auszeichnet, ausschließlich am Erwachsenen orientiert. So konnte der dänische Theologe Sören Kierkegaard im 19. Jahrhundert konsequent sagen: “Man kann nicht Christ werden als Kind, das ist ebenso unmöglich, wie es für ein Kind unmöglich ist, Kinder zu zeugen. Das Christwerden setzt nach dem Neuen Testament das volle Menschsein voraus, was man im natürlichen Verstand Mannesreife nennen könnte ... Das Christwerden setzt nach dem Neuen Testament ein persönliches Bewußtsein der Sünde und von sich selbst als Sünder voraus” (Sören Kierkegaard, “Der Augenblick”, Seite 236). Wenn man, wie Kierkegaard “Erkennen” und “Bewußtsein” zur grundlegenden Bestimmung des Christseins macht, muss das Kind herausfallen; so wie alle, die nicht für voll genommen werden.

Viele große Theologen haben diese Kategorien auch in diesem Jahrhundert weiterhin hoch gehalten. Demgegenüber hat es aber auch immer andere Stimmen gegeben. So hat Hans-Dieter Bastian schon in den 60-er Jahren gesagt: “Das Kind steht ganz und gar unter der Zuwendung Gottes in Wort und Werk Christi. Der Glaube des Kindes ist ausschließlich die Treue Gottes, und ganz und gar nicht ein kindliches Zutrauen.” Von diesem Ansatz her ist dem Kindsein, als einem bestimmten Zeitabschnitt des Menschseins, der Charakter des vollen Christseins zugesprochen. Der Glaube bleibt ein Leben lang Geschenk der Treue Gottes, die Formen der Aneignung und Ausprägung sind je nach Alter verschieden.

Im übrigen ist Gott ja selbst Mensch geworden. Gottes Menschwerdung bezieht sich auf alle Seinsweisen des Menschen. Das Kind in der Krippe ist Zeichen und Hinweis darauf, dass auch gerade das Kindesalter eine Zeit ist, die nicht von der Gottesbeziehung ausgespart ist. Das Kind verkörpert das Selbstverständnis des Glaubens, dass die Rechtfertigung des Menschen ihm von außen gegeben wird, dass seine Identität in diesem Zugesprochenwerden liegt, dass er von einem Du – vom unbedingten Du Gottes her – ein Ich wird. Anders gesagt: Der kindliche Glaube reicht aus, um die Gabe des Abendmahls zu empfangen.

4.   Einige Fragen, die zur Diskussion stehen

 Im Folgenden möchte ich nun einige Argumente erörtern, die in der Diskussion immer wieder genannt werden.

4.1.     Können Kinder eigentlich alle Seiten des Abendmahls erfassen?

Ich halte es nicht für schlimm, wenn Kinder in einem bestimmten Alter eher Zugang zu einem Aspekt des Abendmahls haben, z. B. dem Gemeinschaftsaspekt. Verhängnisvoll wird es erst dann, wenn Theologinnen und Theologen selber ihr Abendmahlsverständnis auf einen Aspekt reduzieren und dann sogar erwägen, die Einsetzungsworte bei einer Feier mit Kindern wegzulassen. Dann sollte man lieber gleich von einem Agape- oder Freundschaftsessen sprechen. Auch bei den Erwachsenen sind nicht immer alle Aspekte des Abendmahls voll im Bewusstsein.

4.2.     Verstehen Kinder das Abendmahl?

Die Feier des Abendmahls umfasst in der Fülle seiner Bedeutungen auch ein Geheimnis, nämlich das der Gegenwart des erhöhten Herrn. In der Abendmahlsliturgie des neuen Evangelischen Gottesdienstbuches heißt der Lobruf “Geheimnis des Glaubens, deinen Tod, o Herr, verkünden wir, deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit”. Es ist sehr fraglich, ob Begriffe wie „verstehen“ und „erklären“ hier überhaupt angebracht sind. Um religiöse Erfahrungen vorzubereiten, die Kindern das Abendmahl liebmachen, ist der Begriff des Erlebens hier besser angebracht. Kinder können das Abendmahlsgeschehen lebendig erleben und erfassen. Das Geschenk des Glaubens ist nicht, wie oben gezeigt, den Erwachsenen vorbehalten. Der Hamburger Pfarrer und Psychotherapeut Hans-Joachim Thilo sagt: “Wir können z. B. einem vierjährigen Kind ohne weiteres klarmachen, was es bedeutet, wenn es unter Empfang dieses Brotes und dieses Weines den Jesus Christus ganz nah bei sich wissen darf. Dieses bedeutet für den Abbau der Kinderängste unerhört viel, mehr als ein Erwachsener sich überhaupt vorstellen kann. Das bedeutet für seine Geborgenheit, eine Stärkung seines Ich-Empfindens sehr viel”.

4.3.     Wie steht es mit der Konfirmation?

Einige fürchten einen Zusammenbruch der Konfirmation, wenn Kinder zum Abendmahl zugelassen werden und die Konfirmation nicht die generelle Erstzulassung bleibt. Abgesehen davon, dass Angst immer ein schlechter Ratgeber ist, sticht dieses Argument auch nicht. Für viele ist das erste Abendmahl mit 14 Jahren oft auch das letzte. Die Zeit der Pubertät und vielleicht auch die Vorbereitung auf den ersten Abendmahlsgang lassen oft keine echte Beziehung zum Sakrament aufkommen. Dass bei einer vorzeitigen Zulassung im Konfirmandenunterricht dann Kinder mit Abendmahlserfahrung und solche ohne säßen, wird auch als Problem gesehen. Ich denke, diese Frage ist aber auch nicht größer als die Problematik der sogenannten „doppelten Mitgliedschaft“ in unserer Volkskirche. Es gibt eben diejenigen Familien, die mit ihren Kindern regelmäßig am Gottesdienst teilnehmen und die große Zahl der distanzierten lebensgeschichtlich Teilnehmenden. Die Konfirmation ist doch als “Ja” zur eigenen Taufe, als Abschluß des Konfirmandenunterrichts und als feierlicher Schritt zum Erwachsenwerden, auch im Glauben, noch mit einer Fülle von Aspekten ausgestattet, so dass ein Zusammenbruch hier nicht zu fürchten ist.

4.4.     Welche Möglichkeiten der Vorbereitung von Kindern gibt es?

In dieser Frage sehe ich die größte Herausforderung. Wir haben, anders als die katholische Kirche, kein Instrumentarium von volkskirchlicher Breite zur Vorbereitung von Kindern auf die Teilnahme am Abendmahl. Der Kindergottesdienst und die Kindergruppen erreichen nur einen bestimmten Prozentsatz von Kindern in einer Gemeinde. Der Religionsunterricht ist überfordert, sollte er eine Einführung in das Abendmahl geben, die ja nur sinnvoll mit dem Erlebnis einer Abendmahlsfeier ist. So bleibt der Ausweg, dass auf Freizeiten, Familiengottesdiensten oder Abendmahlsgottesdiensten, wo Kinder teilnehmen können, eine spezielle kindgemäße Hinführung und Einladung ergehen. Das Argument des möglichen Missverständnisses halte ich nicht für stichhaltig. Niemand würde seinem Kind das Beten verbieten, nur weil Gott in der kindlichen Vorstellung möglicherweise als magischer Wundertäter vorkäme. Hier gilt, was das Kind aus sich selbst nimmt, darüber wächst es von ganz allein hinaus. Etwas anderes ist es, ob ihm “falsche Vorstellungen” mit der Autorität von Erwachsenen vermittelt werden, die es dann unhinterfragt “schlucken” muß. Hier sind sicher viele Eltern in der Vorbereitung ihrer Kinder auf Unterstützung und Begleitung angewiesen. Eine Zulassung von Kindern erfordert eine kirchliche Bemühung und Hilfestellung, wie z. B. mit diesem Heft “Senfkorn spezial”. Hier können wir sicherlich, was didaktisch gut aufbereitete Materialien angeht, nicht genug tun.

 

Gerd Kerl, in: Senfkorn spezial, Sondernummer 3: Der Tisch ist gedeckt! - Abendmahl mit Kindern entdecken und erleben, Villigst 2000